05.10.2010 von Julius

Die Schattenwirtschaft

Wie sich organisierte Kriminalität und legale Hersteller verbünden

Bereits in früheren Artikeln hat thinkstep. über Besonderheiten in den verschiedenen Märkten berichtet.  Immer wieder tauchen dabei die Begriffe Schwarzmarkt und Grauimporte auf.

Was unterscheidet nun aber einen Schwarzmarkt von einem „grauen Markt“?

Selbst nach langen Recherchen haben wir keine einheitliche Definition dieser beiden Begriffe finden können.

Hinsichtlich des „Schwarzmarktes“ kann man immer wieder eine Beschreibung durch „staatlich nicht sanktioniertes“ Handeln finden. Gemeint ist also der Handel legaler Waren außerhalb staatlich vorgegebener Richtlinien oder der Handel mit nicht erlaubten Waren (z.B. Drogen). Die Teilnahme am Schwarzmarkt als Verkäufer oder Käufer bedingt also immer das Risiko, dass sowohl das Produkt (Handelsware) als auch das Tauschkompensat (Geld oder andere Wertgegenstände) durch den Staat eingezogen werden können.

Im Gegensatz dazu werden am „Grauen Markt“ ausschließlich legale Waren gehandelt, deren Besitz, Verkauf und Ankauf nicht gegen das Gesetz verstößt.

Somit zählt der Verkauf einer geschmuggelten Schachtel Zigaretten zum Schwarzmarktgeschäft während der Verkauf eines legal importierten KFZ zum Grauen Markt hinzuzurechnen ist.

Werden nun am „Grauen Markt“ alle staatlich vorgegebenen Regeln eingehalten (z.B. marken- und steuerrechtlich) dann erfährt der Markeninhaber keinen finanziellen Schaden, solange das Produkte aus dem legalen Markt mit identischer Preisgestaltung stammt, wie bei quantitativ beschränkten Gütern (z.B. Eintrittskarten). Dem Staat hingegen entgehen häufig jedoch die Steigerung der Umsatzsteuer, die auf der Preissteigerung beruhen müsste. Dies passiert jedoch nur, wenn der Verkäufer den Verkauf gewerblich organisiert hat und nicht als Privatperson handelt.

Jedoch kann im Gegensatz dazu beim Markeninhaber/Produzenten ein finanzieller Verlust auch am „Grauen Markt“ auftreten. Dies geschieht im Falle eines legalen Importes des Handelsgutes aus einem regionalen Markt mit einem geringeren Preisgefüge (z.B. bei PKWs, Textilien, Beauty-Produkten ...). Hier entgeht dem Hersteller die Differenz zwischen den erzielbaren Preisen am Hochpreismarkt und den tatsächlichen innerhalb des Billigmarktes. Auch der Staat verliert durch ein derartiges Marktverhalten Steuereinnahmen (z.B. Umsatzsteuer und Gewerbesteuer)

Ganz anders stellt sich die Lage innerhalb des Schwarzen Marktes dar.

Da hier außerhalb aller rechtlichen Normen eine Verkaufsaktivität organisiert ist, werden sowohl finanzielle Interessen des Markenrechtsinhabers beim Verkauf von Fälschungen auch am legalen Markt existenter Produkte (wie z.B. Markentextilien, Luxusgüter oder Zigaretten) als auch die des Staates extrem geschädigt.

Alle Beteiligten am Schwarzen Markt verstoßen gegen rechtliche Normen und gelten somit als Straftäter.

 

Da sowohl innerhalb des Grauen als auch des Schwarzen Marktes auch Waren verkauft werden, die am legalen, öffentlichen Markt parallel gehandelt werden stellt sich die Frage, warum es für die (illegalen) Händler Sinn macht, diese Waren am Grauen oder Schwarzen Markt anzubieten.

Nehmen wir uns ein Beispiel für typische „schwarz“ und/oder „grau“ gehandelte Waren: Die Zigarette.

 

Für die Preisbildung eines Produktes spielen die verschiedensten Komponenten ein wichtige Rolle – der Kosten für die Ausgangsstoffe, die Lohnkosten entlang der Wertschöpfungskette, Technologiekosten, Logistik und auch steuerliche Lasten und natürlich der Preis des Konkurrenzproduktes im Verhältnis zum Markenstatus.

Unumstritten eines der einflussreichsten Anteile am Zigarettenpreis ist die Tabaksteuer, die jeder Staat erheben kann oder nicht und die natürlich auch unterschiedlich ist in den verschiedenen Ländern.

In Deutschland beträgt die Tabaksteuer derzeit (max) 14,37 Cent je Zigarette. Im Gegensatz dazu erhebt der Polnische Fiskus aktuell ca. 6,6 Cent je Zigarette als Tabaksteuer. Schon hier erkennt man einen Steuerunterschied von ca. 1,54 € für eine Standardschachtel von 20 Zigaretten. Und dies innerhalb der Europäischen Union.

Macht man sich die Mühe und schaut sich den Markt für Tabakwaren außerhalb der Europäischen Union an, dann stellt man noch viel gravierendere Steuerunterschiede fest.

Somit ergeben sich erhebliche Preisunterschiede am Zigarettenmarkt allein in den Staaten der „alten“ EU vor 2004. Hier können wir Schwankungen verzeichnen die zwischen mehr als 7€ (UK) und unter 3,50€ (Griechenland) liegen. Mit dem Beitritt weitere, vor allem osteuropäischer Länder, in die EU nach dem Jahr 2004 haben sich diese Unterschiede noch einmal verstärkt (z.B. Litauen mit Preisen unter 2,20 €)

Wenn wir den Blick aus der EU heraus in andere europäische Länder wagen, dann sehen wir ein wahre „Fundgrube“ für Schwarzmarkthändler und Schmuggler. So liegen die Preise für eine Schachtel (20 Zigaretten) in der Ukraine unter einem Euro und in Weißrussland gar unter 25 Eurocent.

Dort gekaufte Zigaretten versprechen einen enormen Gewinn, wenn man diese in die Hochpreismärkte (Westeuropa und GB) schmuggelt und verkauft. Ein 40-Fuss-Container (typische Transporteinheit) mit ca. 9,6 Mio. Originalzigaretten einer bekannten Marke gekauft in Weißrussland verspricht einen Reingewinn von knapp einer Millionen Euro, wenn man diese in Deutschland auf dem Schwarzen Markt verkauft.

Aber selbst innerhalb der EU könnten bei geschmuggelten Originalzigaretten immer noch Margen von mehr als 50% erzielt werden (z.B. aus Litauen oder Bosnien-Herzegowina).

Gleiches, zumindest aber ähnliches Zahlenmaterial lässt sich natürlich auch für viele andere Produkte anführen.

Z.B. bei pharmazeutischen oder Parfümerieprodukten haben wir Preisunterschiede in den verschiedenen regionalen Märkten von mehr als 500% festgestellt.

 

Ein anderes Beispiel: KFZ

 

 Typ

Ø-Preis in Dt

Ø-Preis in USA

Preisersparnis

 A4

28,200 €

25.220 €

-12%

 BMW 320i

30.000 €

25.000 €

-16%

 VW Golf

25.000 €

18.750 €

-25%

 Toyota Corolla

18.400 €

12.500 €

-32%

 

 

Aber auch andere Produktgruppen, wie Beautyartikel, sind betroffen.

So z.B. ein Produkt der Marke Dolce&Gabbana. Für das Parfüm „The one sport“ muss man in Deutschland ca. 172 € je 100 ml bezahlen. Das identische Produkt kann man in Bangkok für weniger als 62€ erwerben. Preisunterschied: 110 Euro oder 277%!

Wen wundert es also, daß genügend Online-Portale derartige Produkte zu viel günstigeren Preisen anbieten, als wir sie auf dem deutschen oder europäischen Markt gewohnt sind. Globalisierung!

Der Begriff EU-Import bei Automobilen ist sicher vielen im Ohr.

Und obwohl sich die großen Autohersteller dagegen wehren, verdienen auch hier nicht wenige clevere Händler ganz legal an den globalen Preisunterschieden, die auch auf dem Neufahrzeugmarkt teilweise bis zu 32% betragen können.

Aber bisher haben wir immer über Originalprodukte gesprochen. Ein viel größerer Markt bedient sich jedoch nicht nur des Schmuggels (wie bei Zigaretten) sondern dazu auch noch der Fälschung.

Ob Medikamente und Drogerieartikel, Kleinelektronik und Werkzeug, Textilien und Sportschuhe – es gibt wohl kaum eine Branche, die nicht von Fälschungen und Plagiaten betroffen ist.

 

Aber auch Fälscher und Plagiatoren müssen sich an Regeln halten, so komisch dies auch klingt.

Der potentielle Kunde erwartet (auch) vom gefälschten oder nachgeahmten Produkt gleiche oder ähnliche Qualitätsparameter, zumindest für die Nutzungszeit.

Deshalb versuchen viele Fälscher auf identische oder sehr ähnliche Ausgangsprodukte die zur Herstellung notwendig sind zurückzugreifen. Vor allem versucht man jedoch den äußeren Anschein des Originalproduktes zu erreichen. Die Fälschung soll ja nicht (oder kaum) als solche erkannt werden.

 

Unsere Recherchen brachten deshalb erstaunliche Fakten ans Tageslicht.

Bei vielen der untersuchen Fälschungen konnte festgestellt werden, dass die Rohstoffe oder Verpackungsmaterialien, Zuschlagstoffe oder spezielle Ingredienzien aus den gleichen Quellen stammten, wie bei den Originalprodukten.

Aber auch und vor allem im Bereich der Technologie, also der Herstellungsmaschinen, konnten wir einen Trend in die gleiche Richtung erkennen.

Die internationalen Geschäfte von sogenannten Refurnisher, also Unternehmen, die gebrauchte Technologie erneuern oder modernisieren, laufen ausgezeichnet. In der Schweiz finden wir Anbieter für komplette Anlagen zur Herstellung von Zigaretten. Gleiches in Pakistan, Indien oder Kuwait. Und natürlich China. Lieferanten für Rohtabak gibt es dann gleich um die Ecke in Antwerpen oder Bulgarien, in der Türkei und Griechenland. Die Filter kauft man dann doch gleich beim größten Originalhersteller und das Zigarettenpapier beim Zweitgrößten, einmal in Süditalien und ein mal im Norden.

Und auch hier gilt die alte Kaufmannsregel: Je mehr man nimmt, je günstiger wird der Preis.

Im Zuge unserer Recherchen wurden uns für 60.000 Schachteln sogenannte Cut-outs (Verpackungskartonage für eine Schachtel Zigaretten) angeboten, die selbst bei genauerer visueller Begutachtung nicht vom Original zu unterscheiden waren. Und der Preis für diese Verpackungen war lächerlich gering, ganze 8 Eurocent je Verpackung.

 

Pakistan.

Ein mittelständiger Hersteller von Technologie zur Herstellung von Tabletten vertreibt seine Produkte über Internetplattformen und die eigene Website. Wir sprachen mit dem Inhaber und der sagte uns offen und ohne Hemmungen, dass er hauptsächlich an unbekannte Einzelpersonen verkauft und auch gar nicht wissen möchte, was denn mit seinen Maschinen passiert.

Einen der Käufer fanden wir in Westafrika und einen in Thailand. Von beiden Fälschern haben wir Medikamente in der Hand gehabt, die weder einer Kontrolle unterlagen noch für die sie die Markenrechte besaßen. Viagra und Cialis – also Potenzmittel – waren deren großes Geschäft.

Originaltabletten beider Marken bekommen Sie auf dem legalen Markt, je nach Menge des Wirkstoffes und Anzahl der Tabletten, zwischen 15 und 38 Euro je Stück. Die von den beiden Fälschern angebotenen Produkte kosteten im Durchschnitt um 1 bis 2 Euro je Tablette! Die untersuchten Cialistabletten wiesen den Wirkstoff Tadalafil auf. In allen Fällen jedoch erheblich unter der angegebenen Menge von 20 mg. Somit wäre die Wirkung, bestimmt zum Unmut der Käufer, eher eingeschränkt gewesen. Wir haben jedoch im Zuge unserer Recherchen auch Arzneiprodukte gefunden, welche entweder überhaupt keinen Wirkstoff beinhalteten (also reine Placebos waren) oder, bei denen der Wirkstoff viel zu hoch dosiert war. Beide Varianten können einen erheblichen, vielleicht so gar tödlichen Effekt bei den Konsumenten haben.

Aber auch hier wird wieder deutlich, dass ohne die Unterstützung eines legalen Herstellers eine illegale Anlage zur Fälschung nicht möglich ist.

 

Noch einmal Pakistan.

In einer Großstadt im Süden des Landes bot uns ein eloquenter Unternehmer die Lieferung von mehreren elektronisch gesteuerten Maschinen an, mit deren Hilfe man Zigarettenhülsen füllen kann. Jeder hat vielleicht schon eine Stoffmaschine gesehen. Ritsch-Ratsch – und eine Zigarette ist fertig. Die offerierte Maschine konnte jedoch 72 Zigaretten in der Minute füllen. Also mehr als 3 Schachtel à 20 Stück alle 60 Sekunden. Diese Maschine hat, aus einer kaufmännischen Industrieperspektive betrachtet, keinerlei Aussichten, erfolgreich zu sein. Zu geringe Produktionskapazität um London, Paris oder Berlin mit Zigaretten zu versorgen, aber genug um ein paar Euro nebenbei an Nachbarn, Freunden oder Kollegen zu verdienen. Ingenieurskunst benutzt um illegal Geld zu machen.

 

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Ein Resümee.

Leider viel zu oft mussten wir bei unseren Recherchen feststellen, dass einige Hersteller und Lieferanten den neudeutschen Begriff „Due Dilligence“ sehr eigentümlich interpretieren. Wörtlich übersetzt bedeutet es „Sorgfaltspflicht“.

Aber die einzige Sorgfalt, die wir gefunden haben, war die hinsichtlich des Umsatzes und des Gewinns. Oder anders gesagt:

Solange das Geld stimmt, fragt niemand nach den Hintergründen.

 

  jj

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