04.12.2017 von Jörg Julius

Der Deutsche Diesel-Michel

Wie Deutschland die Zukunft verspielt

Um es gleich vornweg zu sagen: Ich liebe den Sound eines V8-Motors, wenn dieser lässig und kraftvoll sein immenses Potential verkündet. Und ich weiß auch, daß viele (meist männliche Leser) gleicher Ansicht sind. Dennoch: Die Zukunft unserer Mobilität ist elektrisch, ohne Wenn und Aber!

 

Die Gründe sind unumstößliche und liegen klar auf der Hand:

  • De facto emissionsfreies Fahren (bei Ausstieg aus Kohle- und Ölverstromung)
  • Geringerer Energieverbrauch durch den extrem höheren Wirkungsgrad des Antriebsstranges (mehr als das Doppelte!)
  • Geringere Fahrgeräusche
  • Geringere Umweltbelastung durch die externe Energieversorgung (keine Mineralöltransporte zu Tankstellen mehr notwendig; keine Gefahr von auslaufenden Kraftstoffen bei Unfällen, speziell mit Transportern; keine Altölentsorgung ....)
  • Geringere Kapazitäten für Wartung und Instandhaltung notwendig

 

„Aber“, und so fangen die vielen Einwürfe der Gegner des Elektroautos meist an, „aber“ da ist das Problem der geringeren Reichweite der E-Autos, die Akkus sind so teuer und deren Produktion ist aufwendig und umweltschädigend, die Nachladestationen sind nur im geringen Umfang vorhanden, wo lade ich also meinen Stromer, wenn ich mal unerwartet meine Route ändern muss?

Sicherlich sind dies alles ernstzunehmende Argumente bezogen auf die Komplexität des Gesamtsystems der Elektromobilität. „Aber“ und so möchte ich nun entgegnen, keines dieser Argumente stellt im Eigentlichen die Vorteile des E-Autos in Frage und könnte, auch nur annähernd, als Begründung für die Beibehaltung der überholten Technologie des Verbrennungsmotors in der Automobilindustrie herhalten.

Aber lassen Sie uns gemeinsam einige der genannten Gegenargumente und einige mehr genauer betrachten.

Die Reichweitenproblematik ist seit diesem Jahr auf Grund der preislichen wie auch technischen Entwicklung von Akkusystemen aus der Welt. Tesla, aber auch andere Hersteller wie BMW und Mercedes verkünden schon jetzt Reichweiten ihrer E-Autos jenseits der 500 km an. Neue Produzenten (z.B. Fiskars oder Quant/Nanoflowcell oder der Staubsaugerking Dyson) müssen ihre tragfähigen Projekte und Ankündigungen von Reichweiten über 1.000 km zwar noch unter Beweis stellen, aber auch diese Entwicklungen können optimistisch betrachtet werden.

Renault Zoe - Reichweite knapp 400 km

 
Der Renault ZOE - laut Renault mit einer Reichweite von 300 km (Quelle:  Renault)

Der Preis der Energiespeichersysteme ist seit Jahren im Fallen begriffen. Selbst die derzeit gängige Technologie, die notwendige Energie für die Stromer in (eigentlich) Li-Ionen-Laptop-Akkus zu speichern, ist derzeit auf einem Stand von weniger als 100 USD je Kilowattstunde. Eine Größe, die die meisten Fachleute und Ökonomen vor fünf Jahren für undenkbar gehalten hatten. Mit möglichen neuen Technologien (z.B. Flusszellen-Batterie oder die Feststoffbatterie) könnten weitere wichtige Schritte hin zu erheblich größeren Reichweiten getan werden, bei gleichzeitiger Reduktion der Umwelt- und Gefahrenrisiken und der Verringerung der notwendigen Ladezeiten.

 

Für die derzeit leider nur dünn vorhandene Struktur der Ladestationen sind nicht die Hersteller der Autos verantwortlich, sondern unfähige Entscheidungen der Politik und das (aus ihrer Sicht gesehen, völlig verständliche) Desinteresse der Mineralölindustrie und deren langer Vertriebsarm im deutschen und europäischen Tankstellennetzwerk.

 

Ein anderes Argument sollte aber auch die angeblich viel zu geringe Reichweite von E-Mobilen entkräften können. Laut dem Kraftfahrt-Bundesamt legt ein in Deutschland zugelassener PKW im Jahr 2016 durchschnittlich pro Tag eine Strecke von 63,7 Kilometer zurück. Nun sind statistische Zahlen nur bedingt aussagekräftig über die realen täglichen Anforderungen an die PKW. Ein Dienstreisender oder Außendienstler kann sicherlich auch leicht 400 – 500 km am Tag unterwegs sein, egal was das Statistische Bundesamt dazu sagt. Und selbst ein Berufspendler von Wuppertal nach Düsseldorf, oder von Freising nach München braucht täglich mindestens 70 - 80 Kilometer nur für seinen Arbeitsweg und dies, ohne private Dinge erledigt zu haben.

Nur all diese Strecken können leicht schon heute mit modernen E-Autos absolviert werden ohne das auch nur ein Fahrer Angst haben muss, irgendwo im dunklen Wald auf einer Bundesstraße mit leerem Akku liegen zu bleiben.

 

Ein weiteres Argument der Anti-E-Auto-Lobby wird begründet mit der angeblichen schlechten CO2-Bilanz des Stromers.

An Hand der Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes und der durchschnittlichen Verbrauchswerte der Stromer auf 100 Kilometer von derzeit 18 -20 kWh würde sich eine benötigte Gesamtenergiemenge von ungefähr 145 Mrd. kWh ergeben um die Strecken zu absolvieren, die wir alle, auch die Industrie, heute mit dem Verbrennungsmotor meistern.

Die in 2016 in Deutschland erzeugt Bruttostrommenge beträgt ca. 648 Mrd. Kilowattstunden. Somit würden die elektrisch angetrieben PKW ungefähr 22% des deutschen Stromes verbrauchen. Aber allein im Jahr 2016 haben die deutschen Energieversorger 60 Mrd. Kilowattstunden exportiert! D.h. allein durch die Inanspruchnahme der Exporte wären 45% des Gesamtbedarfs abgedeckt. Und diese Rechnung setzt voraus, dass ALLE Personenkraftwagen von heut auf morgen elektrisch betrieben werden. Niemand, nicht einmal die eingefleischtesten Pessimisten in unserem Land, dürft wohl ernsthaft der Meinung sein, dass die notwendigen Energiemengen über einen Entwicklungszeitraum von 10 Jahren nicht bereitgestellt werden könnten, oder?

 

Nun ist jedoch die CO2-Bilanz dieser notwendigen Energiemenge wirklich der berühmte Wermutstropfen im Glas! Denn immer noch werden 40 Prozent der in Deutschland bereitgestellten Elektroenergie durch Kohleverstromung erzeugt! Auch hier ist, mit Blick auf den Klimawandel, ein neues Denken gefordert, vor allem in der Politik. Jeder Fachmann wusste schon vor Jahren, dass wir unsere Klimaziele nur dann erreichen, wenn wir endlich die Kohleverstromung einstellen.

 

Aber zurück zum Auto. Schauen wir uns die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die zulässigen Grenzwerte für PKWs in Europa an. Wir können dann schnell feststellen, dass selbst bei der heute noch klimaschädlichen Mixtur der Stromerzeugung in Deutschland im E-Auto ein erhebliches Potenzial zur Verringerung des CO2-Ausstoßes liegt. Ab 2020 ist der EU-Grenzwert für den CO2-Ausstoß von Pkw auf 95g CO2/km festgesetzt – dies entspricht aber immer noch allein in Deutschland einer Menge von knapp 69 Mio. Tonnen CO2 gerechnet mit den Zahlen von 2016 allein für PKW! Wenn man bedenkt, daß ca. ein Drittel aller in Dt. zugelassenen PKW durch einen Dieselmotor angetrieben werden, dann liegt die Gesamtzahl bei Stickoxiden allein für diese Antriebsart bei ca. 23 Tausend Tonnen pro Jahr! (Zahlengrundlage vom Umweltbundesamt - Link: Umweltbundesamt)]

Bis zu 6-mal mehr Stickoxide als erlaubt stoßen deutschee Autos aus! (Foto: thinkstep)

Laut Umweltbundesamt verpessten PKW unsere Umwelt mit bis zu 6-mal mehr Stickoxiden als erlaubt (Foto: thinkstep)

Die Menge an emittierten CO2 durch die Energieerzeuger beträgt in Deutschland durchschnittlich pro Kilowattstunde 564 Gramm. Damit würde sich ein zusätzlicher CO2-Ausstoß für die notwendige Energiemenge von 145 Mrd. kWh für die Elektromobilität (vorausgesetzt wir würden ab dem kommenden Jahr alle nur noch „elektrisch“ fahren) von knapp 82 Mio. Tonnen ergeben.

 

Aber allein die durch PKW mit Verbrennungsmotoren ausgestoßenen Mengen an CO2 betragen knapp 120 Mio. Tonnen jährlich in Deutschland! (und dies nur bei wirklicher Einhaltung der EU-Normen und ohne Sonderregelungen hinsichtlich der zulässigen Grenzwerte und ohne den Einsatz von „Schummelsoftware“!)

 

Somit könnten wir selbst bei dem wegen der Kohleverstromung ökologisch schlechten System unserer Energieerzeugung bei 100-prozentiger Nutzung von E-Autos die CO2-Emissionen in Deutschland jedes Jahr um 36,5 Mio. Tonnen reduzieren. Gleichzeitig wären unsere Innenstädte um riesige Mengen Feinstaub befreit und um 23 Tausend Tonnen Stickoxide entlastet. Kein Bürgermeister in Stuttgart, München, Hamburg und in vielen anderen Städten müsste Fahrverbote als notwendige Maßnahme zum Schutz der Bevölkerung in Betracht ziehen.

Ich bin überzeugt, unsere Kinder, Enkel und Urenkel wären uns mehr als nur dankbar, wenn wir den Schritt in die E-Mobilität so schnell wie möglich ernsthaft in Angriff nehmen würden.

 

Seit Jahren bereits hören wir, sowohl im stillen Kämmerlein als auch mehr und mehr in der öffentlichen Diskussion, dass es noch viel gravierendere Gründe gibt, die E-Mobilität so lange wie nur möglich hinauszuzögern.

Die Bundeskanzlerin sagte im Sommerinterview von „Berlin direkt“ im ZDF: Den Diesel wird es noch viele, viele Jahre geben, genauso wie den Verbrennungsmotor“, und weiter führt sie aus: „Es hat keinen Sinn, jetzt die Menschen zu verunsichern“..... Die Brückentechnologie Verbrennungsmotor „werden wir nicht Jahre brauchen, sondern ich würde sagen: Jahrzehnte“.

Hier irrt die Kanzlerin, erheblich!

Aber warum tätigt Frau Merkel derartige Aussagen? Wider besseren Wissen?

Sowohl Politiker, die großen Lobby-Verbände (u.a. VDA), der eine oder andere gut gesponserte Wissenschaftler oder Fachmann sehen ein weit größeres Problem bei der Bewältigung dieser elektrischen Mobilitäts-Revolution.

Volkswirtschaftlich gesehen ist die Automobilindustrie das unermüdlich schlagende Herz der deutschen Wirtschaft.

Mit mehr als 800 Tausend direkt in der produzierenden Branche vorhandenen Arbeitsplätzen (Hersteller und Zulieferer) und weiteren ca. 0,45 bis 0,9 Millionen Arbeitsplätzen in der Peripherie der Automobilität (Werkstätten, Tankstellen, Mineralölindustrie...) schafft der gesamte Automobilsektor ca. 404 Mrd. Umsatzvolumen und ist daher als sehr bedeutungsvoller Bestandteil der deutschen Volkswirtschaft anzusehen.

Die Einnahmen des Bundes allein aus der Energiesteuer (Öko-Steuer oder früher Mineralölsteuer) betragen mehr als 40 Mrd. Euro pro Jahr. Damit ist sie die bedeutendste Einnahmequelle des Bundes unter den Verbrauchsteuern (u.a. noch Tabaksteuer, Branntweinsteuer ...). Entsprechend einer Anfrage von Mitgliedern der Grünen-Fraktion im Bundestag am 19.01.2017 zur Diesel-Thematik antwortete die Bundesregierung u.a. mit den Steuereinnahmen für Dieselkraftstoff. Diese betrugen für das Jahr 2015 ca. 20,4 Mrd. Euro und damit 50 Prozent der Energiesteuer (gesamt, mit LKW und anderen Nutzfahrzeugen).

Natürlich würden diese mehr als 30 Mrd. Euro Energiesteuer für Otto- und Dieselkraftstoffe bei einer angenommenen 100-prozentigen Elektromobilität wegfallen. Ein durchaus herber Verlust für das BMF.

Dazu kämen die Steuerausfälle, welche durch wegfallende Zulieferer-Wertschöpfung heute noch erzeugt werden (z.B. Verbrennungsmotor und dessen Komponenten, Abgas- und -reinigungssysteme [„Auspuff“], Spezialöle zur Schmierung [Motoröle], Krafftstoff-Additive ....)

 

Geringe Teile der wegfallenden Energiesteuer könnten durch einen höheren Ertrag aus der Stromsteuer ausgeglichen werden (ca. 3 Mrd. Euro bei einem gleichbleibenden Steuersatz von 2,05 Ct/kWh).

 

Was die partiell wegfallenden Umsätze der derzeitigen Zuliefererindustrie anbelangt, so können wir durchaus davon ausgehen, dass diese durch neue Strukturen kompensiert werden (Batterieproduktion, Antriebsstränge; komplexere Steuerungen; neue, dislozierte Lade –Strukturen [„Tankstelle“]....).

 

Allein die Tatsache, dass für die ca. 5,7 Mio. Fahrzeuge, die jährlich in Deutschland hergestellt werden nun nicht mehr 5,7 Mio. meist hochkomplexe Verbrennungsmotoren bereitgestellt werden müssten, könnte bei Politik, der Wirtschaft und den Gewerkschaften für Angst um Arbeitsplätze und Steuerausfälle sorgen. Schauen wir uns jedoch die heutigen E-Autos an, so sind in der Regel zwei oder mehr Elektromotoren verbaut. Dies bedeutet, dass für die gleiche Anzahl zu produzierender Autos nun aber ca. 10 Mio. Elektromotoren (Antriebstränge) produziert werden! Ich bin der festen Überzeugung, dass sowohl unsere Ingenieure als auch die Beschäftigten der Motorenhersteller durchaus in der Lage sind, diese sich wandelnde Wertschöpfungskette zu realisieren. Die Arbeitsplätze bleiben erhalten, nur eben in veränderten technologischen Strukturen.

Notwendige Voraussetzung für einen derartigen Wandel sind natürlich zukunftsträchtige Investitionen im produzierenden Gewerbe sowohl in der Großindustrie als auch im Mittelstand. Aber so etwas bringen nun mal technische Revolutionen mit sich. Und wer dies verschläft, der wird später das Nachsehen haben. Kodak und AGFA Photo wissen ein Lied davon zu singen.

Vielleicht noch ein Hinweis an die derzeitige Bundeskanzlerin. Der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II., sagte zur Entwicklung des Automobils folgendes: 

Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“

(Wilhelm II. (1859 - 1941), letzter deutscher Kaiser und preußischer König von 1888 bis 1918)

Die Liste der eklatanten Fehleinschätzungen setzt die Kanzlerin somit also auch im 21. Jahrhundert fort.

Und vielleicht noch einen weiteren kleinen Hinweis an die zukünftige Bundesregierung:

Frankreich und Großbritannien wollen ab dem Jahr 2040 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren mehr zulassen, Norwegen bereits ab dem Jahr 2025. Und andere werden folgen.

Aber vielleicht, wenn dann der Schnellzug der E-Mobilität endgültig an Deutschland vorbeigerast ist, fangen wir wieder an Pferde zu züchten.....

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Kommentar von GT40 |

So lange die angegebenen Reichweiten nicht mit der Realität übereinstimmen wird das E-Auto kein Massenprodukt sein (besonders im Winter). Und selbst wenn? Wo soll ich abends mein Auto laden? Aus der 4. Etage mit einem Kabel?
Da fahr ich lieber zur Tankstelle!

Kommentar von Mueller |

Hallo GT40,
stimmt! Das mit dem nächstlichen Wiederaufladen ist besonders in Wohngebieten mit hohen Mehrfamilienhäusern (Innenstadt) sehr schwierig. Da haben es die Eigenheimbesitzer besser. Aber ich glaube, daß ist nur eine Frgae der Zeit! Irgendwann werden selbst die Vermieter den STellplatz für das E-Auto mit anbieten und mittlerweile gibt es ja schon eine Menge Ladestationen in den Städten.
Und früher haben die "Automobilisten" ihren Kraftstoff in der Apotheke gekauft und dann ging es ganz schnell mit den Tankstellen.
Fakt ist, dass wir alle unseren Beitrag leisten sollten um die Klimakatastrophe zu verhindern. Und mit dem verstärkten Kauf von E-Mobilen werden die ewig gestrigen Hersteller, die immer noch auf Benzin und Diesel setzen gezwungen sich umzustellen.