28.12.2013 von Jörg Julius
Eine Reise ins Paradies der Fälschungen
Eine Reportage von ARJ
Als wir uns kurz vor Weihnachten auf den Weg nach Tschechien begaben hatten wir uns gut vorbereitet.
Verdeckte Videotechnik, Tonaufzeichnungsgeräte.
Vor allem aber hatten wir uns mit den Bedingungen und Örtlichkeiten auseinandergesetzt. Wir wussten, was uns erwartet.
Und trotzdem waren wir überrascht.
Wir, das bedeutet in diesem Fall zwei deutsche Kollegen, eine Tschechische Journalistin und ich.
Wir wollten dokumentieren, und das nicht zum ersten male, welche Waren auf den sogenannten Vietnamesen-Märkten zu welchen Preise angeboten werden. Wir wollten uns auch umschauen, wer den dort vor allem einkauft und warum.
Ankunft in Potůčky, kurz hinter der thüringischen Grenze. Unsere erste Etappe. Es war frostig. Der Markt war nur mäßig besucht und es schien, als wären die Vietnamesischen Händler über jeden potentiellen Käufer glücklich. Auf den verschiedenen Parkplätzen standen Autos, fast ausschließlich mit deutscher Zulassung. Kennzeichen mit EA, ESA, EF, also alle aus Thüringen, aber auch Gelsenkirchen, Dortmund, München, Hof und sogar Starnberg waren als Vertreter anderer Teile Deutschlands vor Ort. Später, auf einem weiteren Asiamarkt in Eger (Cheb), fanden wir dann auch noch einen großen Reisebus aus Baden-Württemberg.
Wir trennten uns bereits bevor wir den Markt erreichten. Meine jungen Kollegen schauten eher nach altersspezifischen Markenartikeln, Jeans, Jacken, Technik. Während meine Tschechischen Kollegin und ich uns einfach nur so über den Markt treiben ließen.
Fast jeder der Händler, die wir passierten, sprach uns an und pries seine Waren. Taschen von Louis Vuitton, Jacken der Marken „Jack Wolfskin“, „Adidas“ und „Mammut“. Natürlich alles gefälscht. Vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber beim genaueren Hinsehen oder beim Anprobieren konnte man leicht die Imitationen erkennen. Und natürlich auch an den Preisen. So eine Handtasche von Louis Vuitton, Speedy 30, also ein aktuelles Modell, zu einem Preis von 60€ und nach einigem Feilschen letztendlich für nur 45€. Wollte man diese Tasche in der Düsseldorfer oder Münchner Innenstadt kaufen, so müsste man wohl 500 € mindesten investieren. Also für wahr ein Schnäppchen! Oder?
Die Qualität der Tasche, schaute man sich das Innere an, war mehr als miserabel. Mit diesem Kauf hätte man nicht nur ein schlechtes Gewissen erworben und sich strafbar gemacht, sondern auch noch Geld für minderwertige Ware ausgegeben. Die Freude über dieses vermeintlich „gute Geschäft“ hätte nicht lange gewährt! Doch etwas später, die Tschechische Kollegin machte mich darauf aufmerksam, kaufte ein anderes Pärchen mit rheinischem Akzent genau diese Tasche.
Statussymbole scheinen wichtiger zu sein als kluger Menschenverstand.
Was aber auf diesen Märkten noch mehr als Modeartikel angeboten wurde waren Zigaretten und Alkohol.
Ich glaube, kein deutscher Tabakhändler hat eine derartige Palette an verschiedenen Marken wie fast jeder dieser Vietnamesischen Händler.
Von bekannten Marken aller großen Zigarettenhersteller bis zu völlig unbekannten und nie gesehenen Zigaretten konnte man alles kaufen.
Da stand jedoch die Frage im Raum: Wenn ich hier etwas kaufe, ist das legal oder illegal?
Schon beim ersten Händler bekamen wir eine günstige Offerte im gebrochenen Deutsch:
„Marlboro, sehr gut, nur 30 Euro!“
Dieser Preis galt für eine Stange dieser Marke, also für 200 Zigaretten. Vergleicht man dies nun mit dem Preis auf dem deutschen Markt, dann sieht man natürlich zuerst den mehr als 22 Euro großen Preisvorteil. Und wenn man sich zuvor etwas vertraut gemacht hat mit dem Tschechischen Tabakmarkt, dann weiß man auch, dass 30 Euro nur wenig unter dem offiziellen Tschechischen Preisniveau liegt. Dies könnte also günstige Originalware sein. Wir wollte nun sehen, wie weit den der Händler sein Angebot nach unten korrigieren würde. Und siehe da, schon nach wenigen Verhandlungsaugenblicken waren wir bei 22 Euro angekommen.
Nur 22 Euro?
Man muss keine großen Erfahrungen mit dem Handel von illegalen Waren haben, um zu erkennen, dass also auch diese Zigaretten gefälscht waren oder zumindest geschmuggelt. Wir wollten jedoch wissen, woher diese kommen, wie der Vietnamesische Händler damit umgeht und vor allem, welche Qualität (oder besser welche Mängel) wir vorfinden werden. Wer sich wie wir seit mehr als zwanzig Jahren mit Fälschungen und auch mit gefälschten Zigaretten befasst, weiß, was ihn erwarten kann.
Also akzeptierten wir das Angebot und willigten ein in den Kauf von zwei dieser Stangen Marlboro. Unser Ziel war es, diese später analysieren zu lassen.
Der Händler bat uns etwas zu warten und ging dann ca. 30 Meter zu einem anderen Haus in welchem er verschwand. Nach nur wenigen Augenblicken tauchte er wieder auf, eine undurchsichtige, schwarze Folientüte in der Hand in der sich wohl mindestens zwei Stangen Zigaretten befanden. Diese Zigaretten werden also „gesondert“ gelagert!
Wieder an seinem Stand angekommen, übergab er uns diese Plastiktüte. Wir schauten hinein und sahen dort die zwei Stangen Marlboro, keinerlei Steuerbanderolen, die womöglich noch auf Schmuggelzigaretten hingewiesen hätten. Es waren also, wie zu erwarten, Fälschungen! Und warum hatte der Händler diese Ware nicht direkt von seinem Stand genommen, sondern war in ein anderes Gebäude gegangen? Wir erfuhren es von ihm selbst:
„Vorsicht an der Grenze! Polizei! Diese [und dabei wies er auf die schwarze Plastiktüte] nicht Tschechisch!“
Er wusste also was er tat. Und wir wussten spätestens nach der Laboranalyse der Zigaretten in Deutschland warum dieses „Schnäppchen“ kein Schnäppchen war: Die bekannte Fälschungsart ist eine handgepackte vietnamesische Produktion mit sehr minderwertiger Tabakqualität, mit einem viel zu hohen Nikotingehalt und außerdem verunreinigt mit organischen und anorganischen Schadstoffen!
An vielen anderen Ständen bekamen wir ähnliche Angebote. Das „günstigste“ belief sich auf 18 Euro für eine Stange. Zigaretten scheinen hier der Renner zu sein.
Wenig später trafen wir uns dann, abseits vom Markt, mit unseren jungen Kollegen.
Diese hatten ähnliche „Kauferfahrungen“ erlebt. Zigaretten der russischen Marke Jin Ling, also eine weder in Tschechien noch in Deutschland zugelassenen Marke, aber auch Fälschungen anderer bekannter Marken wie L&M, WEST und natürlich auch geschmuggelte Zigaretten der Marke Pall Mall mit ukrainischer oder weißrussischer Steuerbanderole. Außerdem Flaschen mit dem beliebten „Karlsbader Becherovka“. Je 1-Liter-Flasche nur 8 Euro. Sie entschieden jedoch diesen nicht zu kaufen. Zu tief saß die Erinnerung an den Skandal um gepanschten Alkohol in Tschechien nur wenige Monate vorher.
Was die Kollegen jedoch noch zu berichten hatten, war höchst brisant und zeigte ein noch weit gefährlicheres Problem – Drogen!
Auf ihrem Weg über den Markt wurden beide beiläufig angesprochen. Ein „netter“ junger vietnamesischer Mann hatte sich zu ihnen gesellt und gefragt, ob sie nicht Interesse an Kristall-Ware hätten. Es wurde ihnen schnell klar, dass die Rede nicht vom berühmten Böhmischen Kristall war, sondern dass es sich bei diesem Angebot um die neue, sehr aggressive und höchst gefährliche Modedroge Crystal Meth handelte. Mittlerweile findet man diese Droge nicht nur in Thüringen, Sachsen und Bayern sondern auch in vielen anderen Städten Deutschlands. Crystal Meth, hergestellt aus herkömmlichen Substanzen, schwappt vor allem aus Tschechien über die Grenze. Der deutsche Zoll vermutet jedoch, dass mittlerweile auch in Deutschland illegale vietnamesische Drogenküchen existieren.
Hinter diesen kleinen Verkaufsständen auf dem Asiamarkt in Svatý Kříž, so vermutet der Tschechische Zoll, befindet sich eine der illegalen Drogenküchen für Crystal Meth |
Während unseres anschließenden Treffens mit einem Beamten des Tschechischen Zolls in Karlsbad wurde uns berichtet, dass sich auf vielen der Vietnamesischen Open Air Märkte auch illegale Drogenküchen befinden. Hier wird unter katastrophalen, unhygienischen Bedingungen diese schreckliche Droge gekocht, die auch unter den Namen Meth, Crystal, Ice oder Yaba bekannt ist.
So finden sich, bedingt durch die schlechte und nichtsterile Herstellung in den miserablen Drogenlaboren, neben dem höchstgefährlichen Inhaltsstoff N-Methyl-Amphetamin, auch viele Verunreinigungen und giftige Nebenprodukte in dieser Droge. Diese führen sehr schnell zu Muskeldegeneration, Zahnausfall, Hautentzündungen und vor allem einer extremen Verschlechterung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Wer einmal mit abhängigen Konsumenten dieser Droge Kontakt hatte, dem ist die Wirkung dieser Substanzen nur zu tief ins Gedächtnis eingebrannt.
Karte: Die roten Punkte zeigen die Lage der 21 vietnamesischen Open Air Märkte allein im westlichen Teil der Tschechischen Republik an der Grenze zur Bundesrepublik Deutschland |
Der „nette junge Mann“ auf dem Markt hatte meinen Kollegen diese Droge zu einem Preis von knapp 40 Euro je Gramm angeboten und, wenn sie mehr als 10 Gramm kaufen sollten, dann sogar kaum 37 Euro. Der Preis auf dem illegalen Markt in Deutschland hingegen beträgt zwischen 60 und 80 Euro für ein Gramm. Meine Kollegen haben natürlich abgelehnt.
Rechnet man nun die Kosten der Herstellung dieser Droge gegen ihren Verkaufspreis, so
erzielen diese neuen vietnamesisch-tschechischen Drogenkartelle Gewinnmargen von weit mehr als 2000 Prozent. Bezahlt wird dieser Gewinn mit der Gesundheit junger Menschen auf beiden Seiten der Grenze, denn Crystal Meth ist eine typische Droge für Jugendliche und junge Erwachsene.
Wir haben uns dann im Laufe unserer Recherchen weitere neun der mehr als 20 Vietnamesen-Märkte in Westtschechien genauer betrachtet. Tagelang. Wir haben nicht einen Tschechischen Bürger dort beim Einkaufen entdecken können. Wenn man sich der Mühe unterzieht und einen Blick auf die Lage der Märkte wirft (siehe Karte), dann stellt man leicht fest, dass all diese, mehr oder weniger, entlang der Deutsch-Tschechischen Grenzen entstanden sind. Es scheint also mehr als wahrscheinlich, dass diese Märkte zur Abschöpfung der Kaufkraft deutscher Touristen und nicht die der einheimischen Bevölkerung dienen.
Aber warum sollen nur die Bewohner der deutschen Grenzregionen davon „profitieren“?
Dies haben sich wohl auch einige deutsche Reise- und Busunternehmen gefragt! Und so offeriert man ganz offen und ohne Scheu in Zeitungen aber vor allem im Internet und bietet besondere Einkaufs- und Besichtigungstouren zu diesen Märkten an. Schon ab 18 Euro kann man eine Reise in das „Schnäppchenreich“ buchen (und die hat man ja schon mit dem Kauf der ersten gefälschten Stange Zigaretten wieder raus!).
Mit diesen Slogans wird die zahlungsbereite, deutsche Kundschaft angelockt:
„Günstige Busreise nach Eger zum Tschechenmarkt!
In Eger (Tschechische Republik) wartet ein riesiger Schnäppchenmarkt auf Euch! Hier findet jeder was: Spirituosen, Zigaretten, günstige Klamotten, Schuhe, Spielzeug u.v.m... Bei dieser Reise ist Schnäppchenjagd angesagt!“ (*1)
oder auch:
„Sonderfahrten nach Eger zum Tschechenmarkt
.......Besuchen Sie mit uns den Tschechenmarkt. Besonders günstig kaufen Sie hier Böhmisches Glas, Textilien, Schmuck, Schokolade, Zigaretten, Spirituosen und vieles mehr.“(*2)
Die in den Offerten angesprochenen „Tschechenmärkte“ sind die Open Air Märkte der dort lebenden Vietnamesen. Noch in den 90-zigern wurde von den Busunternehmen offen mit dem Begriffen „Asia-Markt“ oder „Dragonmarkt“ geworben, heute sagt man lieber Tschechenmarkt!
Wir wissen nicht, ob es vielleicht Promotion-Zahlungen der Manager der Asia-Märkte an diese Busunternehmen gibt. Jedoch sind die für derartige Shopping-Touren erhobenen Preise gleichwohl äußerst gering!
Ein Schelm wer Böses denkt!
Alle Hinweisschilder sind natürlich in deutscher und manchmal auch in englischer Sprache verfasst. Hier auf dem Asiamarkt in Svatý Kříž, Nähe Waldsassen. |
Die Frage, die sich letztendlich stellt, ist jedoch die nach der immer noch anhaltenden Existenz dieser Märkte! Wenn die tschechischen und deutschen Behörden bereits seit Jahren wissen, dass hier gefälschte und geschmuggelte Waren verkauft werden, wenn die Verantwortlichen wissen, dass hier auch der Drogenhandel eine große Rolle spielt, wenn Hygiene und Brandsicherheit mehr als nur zu wünschen übrig lassen, warum existieren dann diese Märkt noch? Warum wird seitens der Deutschen Regierung nicht genügen Druck auf die Tschechischen Behörden ausgeübt, um derartige Märkte zu schließen? Denn immerhin ist die Republik Tschechien Mitglied der EU!
Mittlerweile existiert im Freistaat Bayern eine Sondereinheit des Zolls, welche sich ausschließlich mit der stetig wachsenden Menge an Drogentouristen nach Tschechien befasst. Crystal Meth, die Droge die kaum in den deutschen Medien Erwähnung findet, breitet sich mehr und mehr aus und ist bereits zur Gefahr geworden.
Eine Ursache, diesen Schnäppchenparadiesen ein Weiterleben zu ermöglichen ist sicherlich der Tatsache geschuldet, dass diese Märkte in den kleinen oder mittleren tschechischen Gemeinden oft die größten Steuerzahler geworden sind und somit einen erheblichen regional-ökonomischen Einfluss erreicht haben.
Vergleicht man die Höhe des Steueraufkommens einer Gemeinde an der tschechisch-deutschen Grenze in der sich ein Asia-Markt befindet mit dem einer gleichgroßen Gemeinde in östlichem Teil der Tschechischen Republik, dann stellt man fest, dass die Bürgermeister dieser Grenzgemeinden über ein oft 10-fach (!) höheres Budget verfügen können als ihre Kollegen weiter weg von der Grenze.
Welcher Politiker oder Verwaltungsbeamte möchte wohl einen derartig lukrativen finanziellen Vorteil aufgeben? Und so kann man sich auch leicht vorstellen, dass bestimmte Fakten auf taube (Politiker-) Ohren stoßen!
Und oft wissen die „Manager“ der Vietnamesen-Märkte bereits einen Tag vorher, wann die nächste Razzia der örtlich zuständigen Polizei stattfindet.....
Übrigens:
Am 12. Dezember 2013 veröffentlichte der Tschechische Zoll die Nachricht, daß bei einer Razzia in As verschiedene illegale Waren beschlagnahmt wurden sind. Laut diesen Informationen wurden ca. 520.000 nicht versteuerte, gefälschte und geschmuggelte Zigaretten konfisziert als auch Drogen verschiedener Kategorien eingezogen. Es handelte sich dabei um ca. 10 kg Crystal als auch ca. 30 kg Marihuana. Diese Aktionen wurden durch den Tschechischen Zoll und durch die Tschechische Drogen-Sondereinheit ausgeführt. Regionale Polizeieinheiten waren nicht involviert.
Am 23. Dezember 2013 wurde durch den Tschechischen Zoll die vierte innerhalb von 14-Tagen erfolgreiche Aktion gegen Fälscher und Drogenverkäufer auf den vietnamesischen Open-Air-Märkten bekannt gegeben. Diesmal wurden sechs Personen verhaftet und weitere Drogen beschlagnahmt. Es handelte sich dabei um zwei Kilogramm Crystal und zehn Kilogramm Marihuana.
Quellen:
(*1) [Dient nur zur Bestätigung der Quelle / dieser aktuelle Werbetext stammt von der Website „XXXXXX.de“ der Firma XXXXXX GmbH in XXXXXXXXX, Baden-Württemberg, 2013/14]
(*2) [Dient nur zur Bestätigung der Quelle / dieser aktuelle Werbetext stammt von der Website „http://www.xxxxxxxx.de/urlaub/reisen/reiseDetails.php?rId=RA9958933FD“ der Firma XXXXX GmbH - Reisebüro & Busreisen, XXXXXX, Bayern, 2013/14]
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