23.02.2015 von Jörg Julius

Interview mit einem Schmuggler

Wie Europa mit Schmuggelzigaretten überschwemmt wird

Dubai

Feb, 18, 2015

Schaut man sich die Flut gefälschter und illegaler Zigaretten an, die Jahr für Jahr Deutschland und Europa überschwemmen, betrachtet man die Mengen an Drogen jeglicher Art, die Tag für Tag in Deutschland konsumiert werden und bedenkt man dabei, daß hierfür immer ein Transport über die Europäischen Außengrenzen und innerhalb der EU notwendig ist, dann kann man sich ungefähr vorstellen, welche verdeckte logistische und organisatorische Kapazitäten hier in den letzten Jahrzehnten durch organisierte, kriminelle Gruppen geschaffen wurden.

Wollen wir zu Beginn mal eine kleine Rechnung aufmachen:

In Deutschland werden nach unabhängigen Schätzungen jährlich mehr als 21 Mrd. unversteuerter Zigaretten konsumiert. Jetzt vernachlässigen wir einen kleinen Teil der Zigaretten, die legal aus Ländern mit einem geringeren Steueranteil (z.B. der Tschechische Republik) eingeführt werden. Diese Menge dürfte wohl kaum über eine Milliarde Stück liegen. Es verbleiben also 20 Mrd. illegaler Zigaretten allein in Deutschland.

Neben sehr interessanten und teilweise kuriosen Schmuggelmethoden (z.B. ausgehöhlte Baumstämme) werden viele dieser schmutzigen Glimmstängel auf ganz „normale“ Art und Weise, nämlich ganz profan im LKW oder Seecontainer, in die EU und dann nach Deutschland verbracht. Eine gängige Verpackung von Zigaretten ist der sogenannte Mastercase, ein Gebinde aus Karton, in dem 50 Stangen zu je 200 Stück der rauchigen Ware zusammengefasst werden. Wir haben es also mit 10.000 Zigaretten zu tun.

In einem großen LKW finden maximal 800 bis 900 dieser Mastercases Platz. Die Erfahrungen zeigen jedoch, daß die meisten Schmuggler zusätzlich zu den illegalen Zigaretten noch ein sogenannten „Coverload“ am Ende der Ladefläche platzieren, um die gefährliche Ladung vor den Augen der Gesetzeshüter zu verbergen.

Lassen Sie uns also mit durchschnittlich 750 Mastercases je LKW rechnen, also 7,5 Mio. Zigaretten.

Würden nun die Herren der Schmugglerindustrie alle diese unversteuerten Zigaretten auf einmal verladen und nehmen wir mal an es würden genügend LKW gleichzeitig vorhanden sein, dann müsste sich dieser Transport wie ein riesiger Lindwurm auf den deutschen Autobahnen bewegen. Es wären dann immerhin 2.667 LKW, die, einer nach dem anderen, sich durch den deutschen Berufsverkehr quälen. Bei einer durchschnittlich angenommenen Länge eines LKW von 12 Meter, plus einem Mindestabstand von 4 Metern (ja, ich weiß, das ist viel zu wenig), wäre unser Zigaretten-Lindwurm knapp 43 km lang, was immerhin der Strecke Düsseldorf – Wuppertal entspricht, vom Berliner Bundeskanzleramt bis zum Schloss Sanssouci in Potsdam reichen oder die A95 samt Nebenstrassen von München bis zum Starnberger See blockieren würde.

thinstep. hat sich mit einem Großen dieser unsichtbaren Broker und Schmuggler unterhalten. Wir wollten herausfinden, was diese Leute antreibt, wie sie ihre „Mammutaufgabe“ meistern und wie groß das Risiko ist, vom Auge des Gesetzes erkannt zu werden. Aber dazu vornweg gleich eine Information:

Die Menge der durch die deutschen Behörden beschlagnahmten Zigaretten belief sich im Jahr 2013 auf  ca. 147 Mio. Stück (siehe Jahresstatistik des Zolls 2013). Bezogen auf die von Fachleuten geschätzte Menge an unversteuerten und geschmuggelten Zigaretten in Deutschland sind das weniger als 1 Prozent! Das heißt jedoch im Umkehrschluss, daß 99 von 100 illegal eingeführten Zigaretten nicht erkannt, geschweige denn beschlagnahmt werden.

Wie sie sich sicher vorstellen können, ist es gar nicht so einfach, jemanden aus dieser Branche zu einem Interview zu bewegen. Aber da wir schon seit langer Zeit im Milieu der organisierten Kriminalität recherchieren ist es uns gelungen, einen der „Großen“ der Szene dazu zu bewegen, etwas aus seinem reichen Erfahrungsschatz zu berichten.

Manchmal waren wir erstaunt über Antworten, die wir so und in dieser Art nicht erwartet hatten, aber oft trafen seine Aussagen genau unsere Vorstellungen. Unser Gesprächspartner ist ein Mann von Mitte 50 mit einer höheren betriebswirtschaftlichen und Rechtsausbildung der schon seit vielen Jahren dieses illegale Geschäft betreibt. Hier nun die Übersetzung des Interviews, das in englischer Sprache am Persischen Golf auf dem Oberdeck einer 2,5-Mio-Euro-Yacht von „Absolute“ geführt wurde.

 

thinkstep.:

Hallo Herr M.

Zu Beginn unseres Gespräches möchten wir uns für Ihre Bereitschaft bedanken, Fragen zu Ihrem geschäftlichen Leben zu beantworten. Wie vereinbart werden wir uns weder nach Namen Beteiligter oder konkrete Örtlichkeiten erkundigen. Wir wollen uns ja über das geschäft mit Zigaretten unterhalten. Rauchen Sie eigentlich?

M.:

Nein, ich bin strikter Nichtraucher. Nur ab und zu bei besonderen Gelegenheiten gönne ich mir eine gute Zigarre! Aber eher selten.

thinkstep.:

Sie handeln aber mit Zigaretten, die unversteuert sind. Handeln Sie auch mit gefälschten Zigaretten?

M.:

Da ich weder in Zypern noch in einem anderen Land der EU verkaufe, brauche ich meine Zigaretten auch nicht zu versteuern. Ich bin global aktiv. Für irgendwelche Steuern ist der Importeur in seinem Land zuständig und verantwortlich, nicht ich.

thinkstep.:

Und gefälschte Zigaretten?

M.:

Was meinen Sie mit gefälschten Zigaretten? Im Allgemeinen kaufe und verkaufe ich Zigaretten, die eine Markenzulassung haben. Ich weiß natürlich nicht, ob dies auch in dem Land zutrifft, in das die Ware letztendlich befördert wird, aber das ist auch nicht meine Pflicht.

 

thinkstep.:

Welche Marken sind das denn?

M.:

Alle, die sich gut verkaufen lassen. Ich hab da keine Favoriten!

thinkstep.:

Könnten Sie uns trotzdem ein paar Marken nennen?

M.:

In den letzten Jahren hat sich da einiges geändert. Früher wurden hauptsächlich die bekannten Marken gehandelt. Marlboro, WEST, Pall Mall, Classic. Dann kamen aber viele Marken hinzu, die kaum jemand kannte und trotzdem waren die sehr lukrativ. Jin Ling z.B.! Die konnte man containerweise in die ganze Welt verkaufen. Mehr als die liefern konnten.

thinkstep.:

Wer waren „Die“? Das Werk in Königsberg, BTF (Baltischnaya Tabatschnaya Fabrika – die Red.)?

M.:

Ja, erst nur in Kaliningrad und dann auch in der Ukraine.

thinkstep.:

Haben Sie die Ware direkt aus dem Werk gekauft?

M.:

Nein, zu Anfang habe ich wegen Jin Ling mit Großhändlern verhandelt. Polen und Russen. Aber dann wurde das Geschäft so groß, dass es lukrativer war direkt vom Werk zu kaufen.

thinkstep.:

Haben Sie jemals direkt mit Herrn Kasakov verhandelt? (Anm. der Redaktion: Wladimir Kasakov war der Generaldirektor von BTF, heute ist das seine Frau Svetlana)

M.:

Ja, mehrfach.

thinkstep.:

Und, hatten Sie den Eindruck, daß Herr Kasakov wußte, daß seine Zigaretten geschmuggelt werden?

M.:

Natürlich. Wladimir wußte ganz genau was mit der Ware passiert. Er hat ja auch einige male versucht, eine Zulassung für seine Jin Ling in Europa zu bekommen und er hat wohl auch mit den großen Tabakkonzernen versucht zu verhandeln. Aber ohne Erfolg. Also hat er die Zigaretten halt wie immer verkauft. Frei ab Werk oder Hafen. Für die Papiere war der Käufer verantwortlich. BTF war nach außen immer auf der legalen Seite. Und er konnte gar nicht so viel produzieren, wie man ihm die Zigaretten förmlich aus der Hand gerissen hat. Und seine (russischen) Steuern hat er immer pünktlich und problemlos entrichtet.

Aber er wußte, dass sowohl die russische Zollverwaltung in Königsberg als auch die europäischen Zollbehörden hinter ihm her waren. Aber außer ein paar Verstößen gegen Brandvorschriften konnten die ihm nie etwas nachweisen.

thinkstep.:

Jin Ling sieht man heute aber kaum noch auf dem Schwarzen Markt. Welche Marken sind denn jetzt angesagt?

M.:

Was immer geht ist Marlboro. Die wird überall geraucht. Auf der ganzen Welt. Und wenn ich dafür einen neuen Kunden habe, dann gibt es auch immer einen Lieferanten.

Was aber immer häufiger auf dem Markt zu finden ist, sind unbekannte Marken, wenigstens am Anfang. „Yesmoke“ (Anm. der Red.: zugelassene Marke der Firma „Yesmoke SARL“, Italien) war so eine. Aber die Logistik stimmte und schon brummte das Geschäft. Oder FEST (Anm. der Red.: FEST ist eine legale und zugelassene weißrussische Marke produziert im Grodnoer Werk der Firma „Neman“). Es gibt heutzutage zig verschiedene Marken von guten Zigaretten, die ganz legal hergestellt werden und die man mittlerweile überall auf der Welt kaufen kann!

thinkstep.:

Auf dem Schwarzen Markt meinen sie?

M.:

Schwarz, grau, weiß? Wo ist da der unterschied? Sie haben Kunden und sie haben Ware! Punkt. Es ist ein ganz normales Geschäft.

thinkstep.:

Welche Zigaretten verkaufen sich denn am besten? Heute?

M.:

Wie gesagt, nach wie vor die Marlboro aber auch L&M. Die machen ca. 50% des Geschäfts aus. Und da man ja an Yesmoke zur Zeit nicht rankommt (Anm. der Red.: Die Firma „Yesmoke“ wurde im Nov 2014 durch die Italienische Guardia Civil durchsucht und fast das gesamte Management verhaftet – Verdacht auf Steuerhinterziehung im Bereich von 80-100 Mio. Euro), muß ich halt auf andere Marken wechseln. Brendal, K1, Classic, Pall Mall oder FEST, wie gesagt. Es gibt mehr als genug Anbieter.

thinkstep.:

Wie müssen wir uns so ein illegales Geschäft vorstellen? Gehen Sie zu einem Hersteller, begutachten die Ware und sagen dann: Ok, davon jetzt 10 Mio. Stück?

M.: (lacht)

Nein, nein! Obwohl, so verkehrt ist das nicht!

Dieses Geschäft beruht, wie übrigens die meisten, vor allem auf Vertrauen. Vertrauen in die Kunden und Vertrauen in den Hersteller. Wenn sie einen Hersteller von Zigaretten  seit langem kennen, wenn sie gute Geschäfte gemacht haben, dann ist das unkompliziert und einfach. Sie haben halt Vertrauen! Und wenn sie nun Ware benötigen, dann rufen sie ihn an, oder treffen sich mit ihm. Sie vereinbaren Menge, Preis und Bedingungen und das war es. Manchmal machen sie auch einfach nur ein stetig wiederkehrendes Geschäft, sagen wir vier Container, zwei mal im Monat.

thinkstep.:

Ja, aber dann ist die Ware bei Ihnen und nicht beim Kunden?

M.:

Die Vereinbarung mit dem Lieferanten beläuft sich nur auf die Menge, die Marke und den Preis. Und wie die Bezahlung erfolgt. Das Wohin muß zu diesem Zeitpunkt noch nicht unbedingt feststehen.

Jetzt spricht man mit seinem Abnehmer und vereinbart die Lieferkonditionen, also wann, wohin und wer für welche Dokumente verantwortlich ist.

Und klar, wann welches Geld fällig wird.

thinkstep.:

Und wie geht es dann weiter?

M.:

In den meisten Fällen kontaktieren sie dann den Lieferanten und vereinbaren einen Lieferort. Das kann ein Hafen sein oder ein Zollager oder manchmal holen sie die Ware auch direkt vom Werk ab.

thinkstep.:

Gibt es denn Vorauszahlungen, zum Lieferanten oder auch vom Abnehmer?

Und wenn ja, wie erfolgen die?

M.:

Ich werde hier nicht alle Details erklären, aber Vorauszahlungen gibt es immer, wie im Großhandel üblich. Meist zahlen sie zwischen 25 und 50 Prozent an, wenn man sich einig geworden ist. Ist die Ware dann verschifft, also wenn die bill-of-loading da ist, dann noch einmal 25-30 Prozent. Spätestens dann holen sie sich diese Summe vom Abnehmer plus das Geld für die Aufwendungen, die noch folgen. Und dann geht alles Zug um Zug weiter. Ware im Hafen, also eine Bestätigung per Dokument liegt vor und sie zahlen den Rest an den Lieferanten. Das wird meist vorher alles mit Bankakkreditiv abgesichert. Und dann übergeben sie die Zigaretten an den Kunden und der zahlt den Rest seiner Schuld.

thinkstep.:

So wie es scheint wird der Ankauf vom Hersteller elektronisch bezahlt. Haben Sie keine Angst, daß Ihnen die Behörden auf die Schliche kommen?

M.: (lacht sehr intensiv)

Ja glauben sie denn, hier erfolgt irgendetwas unter meinem Namen? Das sind ganz legale Firmenkonten von ganz legalen Unternehmen! Leute wie ich zahlen offen und ehrlich ihre Steuern, aber da wo es vernünftig ist! Alle Transport- und Handelsdokumente sind echt, ungefälscht und jederzeit nachprüfbar. Natürlich in den Ländern, wo die Geschäfte auch offiziell laufen. Die kleinen Fische machen Bargeschäfte und sicher, der Verkauf zum Endkunden läuft natürlich auch bar ab. Aber glauben Sie, daß ich mir eine Million Euro in einem Koffer übergeben lasse? Erstens ist es heute ziemlich schwer Bargeld günstig zu waschen und zweitens wären sie nie ganz sicher, ob das Geld im Koffer auch echt ist. Abgesehen gibt es in diesem Geschäft auch dubiose Typen, denen man nur bedingt traut. Und warum so ein Risiko eingehen? Das Transfergeschäft läuft phantastisch und völlig problemlos und ich handle mit Waren die weder verboten noch gefährlich sind. Es gibt also keinen Grund irgendetwas zu verheimlichen.

thinkstep.:

Nun ja, wenn Sie Zigaretten in die EU, oder sagen wir in die USA liefern, dann fallen Einfuhrzölle an! Und die müßten bei der Abfertigung bezahlt werden. Und dann, so schätze ich, lohnt sich das Geschäft für Sie nicht mehr, oder?

M.:

Ich liefere nicht in die EU! Und ich liefere nicht in die USA! Und abgesehen davon ist es alles nur eine Frage der Verhandlung und der Organisation!!

Viele der Zigaretten, die ich gehandelt habe, haben niemals den Europäischen Boden verlassen und waren oft bereits wenn ich sie gekauft hatte innerhalb der Europäischen Union. Und selbst wenn die Ware von außerhalb europäischer oder britischer Grenzen kommt, spielt das keine Rolle! Der Bedarf ist so riesig, daß sie IMMER so verhandeln können, daß der Abnehmer die Ware einführt. Wie er das macht, ist mir völlig egal. Ich halte mich an die Abmachungen hinsichtlich der Begleitdokumente und der Kunde kümmert sich um den Rest. Und oft ist es viel besser, mal auf ein paar Euro zu verzichten, als den Hals nicht voll genug zu bekommen und dafür einen heftigen Verlust einzufahren.

thinkstep.:

Und trotzdem. Glauben Sie nicht, daß britische oder Zollbehörden vom Kontinent sie im Visier haben. Und wie sehen Sie die Gefahr, daß ein Ermittlungsverfahren letztendlich doch erfolgreich durchgeführt wird und Sie mit Strafe rechnen müßten?

M.:

Welche Behörde in Europa könnte mir wirklich gefährlich werden? Keine!

Die Firmen, über welche die Geschäfte offiziell abgewickelt werden, liegen alle außerhalb des europäischen Machtbereiches. Und sie liegen in Ländern, die keine oder kaum Rechtshilfeabkommen mit Deutschland, GB oder dem restlichen Europa haben. Und in diesen Ländern zahle ich ehrlich meine Steuern und Abgaben. Ohne Wenn und Aber. Und ab und zu, nein eigentlich sehr häufig, unterstützen wir regionale Projekte, meist soziale (Anm. der Red.: Charity projects). In diesen Ländern sind Leute wie ich gern gesehene und erfolgreiche Geschäftsmänner, was ich ja auch bin.

Und selbst wenn diese europäischen Behörden die Macht und das Recht hätten, in diesen Ländern zu ermitteln oder ermitteln zu lassen, hätte dies keinerlei Auswirkungen auf mich! Ich habe keine Gesetze gebrochen, weder hier noch dort!

thinkstep.:

Wo kommt Ihre Ware eigentlich her? Wo finden wir die Hersteller?

M.:

Geraucht wird auf der ganzen Welt, also werden auch überall Zigaretten hergestellt.

Schauen sie sich Paraguay an. Hier gibt es eine bedeutend höhere Produktionskapazität als der eigenen Markt dort abnehmen kann. Irgendwo müssen die Zigaretten ja hin.

Oder China. China ist der größte Markt für Zigaretten weltweit. Die Chinesen nutzen moderne Technologien und haben verhältnismäßig geringe Produktionskosten. Aber heutzutage müssen wir gar nicht soweit gehen! Selbst in vielen Ländern der EU werden Zigaretten hergestellt, die man ruhigen Gewissens verkaufen kann. Und in ausreichender Menge. Und man spart sich dabei lange Transportwege und eine schwierige Abfertigung.

Aber es ist nun einmal so: Wir leben in einer globalisierten Welt. Und deshalb spielt nicht der Ort eine Rolle, sondern nur der Preis und die Umstände.

thinkstep.:

Das Rauchen ist ja an sich schon sehr ungesund. In den Medien wird nun immer wieder berichtet, daß gefälschten Zigaretten mit Verunreinigungen und Giftstoffen versetzt sind und die Qualität oft sehr schlecht ist. Stimmen Sie dem zu?

M.:

Ich kenne bei weitem nicht alle Hersteller. Aber vor allem die kleinen Produzenten (Anm. der Red.: gemeint sind hier illegale Produktionsstätten) in Europa sehen oft nur das schnelle Geld und kümmern sich nicht um ihre Kunden! Schauen Sie, wir reden hier über ein ganz normales Geschäft. Wenn Sie beim Autohändler eine Rostlaube angedreht bekommen, gehen sie nie wieder zu dem hin. D.h. das nächste Auto kaufen sie bei jemandem anderen und sie erkundigen sich vorher, ob der ok ist oder nicht.

Genauso ist es in meinem Geschäft!

Was nützen ihnen die günstigsten Zigaretten, die größtmögliche Gewinnspanne, wenn keiner mehr ihre Ware haben will? Na klar, ein, zwei Container mit schlechter Qualität können sie immer verkaufen! Und dann?

Glauben Sie mir, ich mache dieses Geschäft seit mehr als 20 Jahren. Wenn ich jemals mindere Qualität verkauft hätte, dann wäre ich heute nicht da wo ich bin. Das ist nun mal ein ganz normaler Markt. Der Kunde will natürlich Geld sparen, aber er will trotzdem gute Qualität rauchen! Ich kann nicht alle Zigaretten vorher begutachten. Aber wenn sie mit den Verkäufern sprechen (Anm. der Red.: gemeint sind hier die illegalen Endverkäufer der geschmuggelten Zigaretten), dann hören sie sofort, wenn etwas nicht stimmt. Und unser Feedback sagt, daß der Kunde lieber einen oder zwei Euro/Dollar/Pfund mehr ausgibt, um genau die Marke zu bekommen, die ihm auch schmeckt.

Die Zigaretten, die ich handle, kommen alle aus richtigen, zugelassenen und oft mit moderner Technik ausgerüsteten Fabriken. Ob nun außerhalb der EU in Paraguay oder China, die Ukraine oder Weißrussland oder innerhalb der EU in Polen oder Italien oder Bulgarien. Das sind immer professionell geführte Unternehmen die mit Fachkräften arbeiten. Der Tabak ist von der selben Qualität wie der, der in den Zigaretten ist, die sie normal im Supermarkt kaufen können. Selbst Papier und Filter kommen von den gleichen Firmen, die auch die großen Markenhersteller beliefern. Schauen sie sich die Pall Mall aus Weißrussland an. In diesem Werk wird offiziell diese Marke produziert. Was ich kaufe, ist nur das, was zu viel produziert wird. Der Inhalt ist derselbe.

thinkstep.:

Ich habe gehört, daß die „Jin Ling“ aus Königsberg vor einigen Jahren mal die fünftmeistgerauchte Zigarette in Deutschland war. Und das ohne jegliche Werbung, ohne offenen Verkaufsmöglichkeiten und obwohl sie illegal in Deutschland war. Wie kann so etwas erreicht werden?

M:

Ich habe natürlich keine konkreten Marktzahlen, was die Jin Ling anbelangt. In diesem Markt gibt es immer nur Schätzungen (M. lacht!). Aber die Jin Ling kam gerade zu einem Zeitpunkt, wo viele Staaten besonders in Europa ihre Probleme hatten. Und viele Regierungen versuchten finanzielle Krisen teilweise mit Steuererhöhungen zu kompensieren. Und der Tabak ist dabei sehr beliebt. Wenn nun die Preise auf Grund hoher Steuern steigen und steigen und weil die „Großen“ ja auch ihr Geld verdienen wollen, dann gehen halt die, die sich die teuren Zigaretten nicht mehr leisten können (oder wollen!) zu dem, der sie günstiger anbieten kann. Das ist doch ganz normal.  Und die Jin Ling war in Massen verfügbar, hatte eine gute Qualität und schmeckte den Leuten. Und wohl aus all diesen Gründen hat die sich verkauft wie geschnitten Brot. (M. wörtlich: „was sold like hotcakes!“)

thinkstep.:

Ich glaube, jetzt kommt eine diffizile Frage! Wir sitzen hier auf dem Oberdeck einer wunderschönen Yacht die sicherlich ein paar Millionen gekostet hat. Wie hoch sind eigentlich Ihre Gewinne aus diesem Geschäft? Nach unseren Recherchen kosten „günstige“ Zigaretten, also aus Fälscherwerkstätten oder von Billiganbietern, im Aufkauf so zwischen 80 und 200 US$ je MC (Anm.: der Red.: ein MC = 10,000 Zigaretten). Die Verkaufspreise im Schwarzen Mark sind unterschiedlich von Land zu Land. Aber in Dt bekommen sie die FEST aus Weißrussland für 18 – 21 Euro je Stange, was wiederum heißt, daß der MC für fast 1,000 Euro verkauft werden kann! Das ist im günstigsten Fall das Zehnfache! Ein riesiger Gewinn!

M.:

Ich werde Ihnen sicherlich nicht erzählen, wie hoch meine Rücklagen sind. (M. lacht) Aber Ihre Zahlen stimmen ungefähr. Und in England können sie noch viel höher rangehen.

Sie müssen aber bedenken, daß auch ich Kosten habe. Und ich verkaufe nicht an den Endkunden. Die Differenz zwischen Einkaufspreis und dem Preis, den der Konsument zahlt, müssen sich viele teilen. Alle wollen an diesem Geschäft verdienen. Transport, Lager, Zwischenhändler. Und dann kommen noch meine Steuern und sie brauchen immer jemanden, der ihnen die Dokumente fertig macht! Und wenn sie sich z.B. die vergangene Entwicklung bei Yesmoke anschauen, dann sehen sie, daß auch die Hersteller wissen, wie und wo man Geld verdienen kann. Zu Beginn haben sie für einen Mastercase Yesmoke so 120 Euro bezahlt und zum Schluß waren es schon mehr als 260 Euro!  Nun ja, eigentlich  zählt das aber alles nicht. Sehen Sie, ich lebe von der Steuer (M. lacht schallend!). Je höher die Steuer, je höher ist mein Gewinn! Ganz einfach.

Also ich gebe es ehrlich zu, es bleibt schon der eine oder andere Euro bei mir hängen!

thinkstep.:

Sie sagten gerade „der die Dokumente fertig macht“? Meinen Sie die offizielle Abwicklung? Also einen Beamten, der die Abfertigung „erledigt“?

M.:

Natürlich!

thinkstep.:

Wie muß ich mir das vorstellen?

M.:

Nehmen wir mal an, Sie wollen einen Container nach Europa einführen. Dann haben Sie hauptsächlich zwei Möglichkeiten:

Erstens, sie schreiben auf die bill-of-loading etwas anderes drauf als drin ist. Dann müssen Sie nur hoffen, daß es keiner entdeckt. Aber die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden ist auch nicht sehr groß. Ob nun Hamburg, Barcelona oder Rotterdam. Die Häfen sind so groß, dann kann nur ein Bruchteil überprüft werden. Sie müssen es nur gut vorbereiten.

Zweite Möglichkeit:

Sie führen die Ware ganz offiziell als Tabakprodukt in die EU ein. Sagen wir in Griechenland oder Slowenien. Aber für den Transit! D.h. sie sagen von Anfang an, daß die Ware zwar durch die EU geht, offiziell aber nicht in der EU verbleibt. Laut Dokumente transportieren sie die Ware in die Ukraine oder nach Moldawien oder besser in irgend ein anderes Land außerhalb der EU.

Was sie jetzt benötigen ist nur jemand, der das Transitverfahren für ihren Container ganz offiziell abschließt. Stempel und Häkchen und nach dem Buchstaben des Gesetzes ist ihr Container nun in der Ukraine. Dabei steht er irgendwo in Newcastle, oder Budapest oder sonst wo. Und das Schöne ist, mit der derzeitigen Prozedur können sie unter dem eröffneten Transitverfahren problemlos fünf oder zehn LKW fahren lassen, obwohl sie nur einen Container angemeldet haben. Das ist halt Schengen!

 thinkstep.:

Sie meinen das Schengener Abkommen?

M.:

Ja, na klar!

thinkstep.:

Und wie groß ist das prozentuale Risiko, entdeckt zu werden?

M.:

Früher haben wir gesagt eins zu sieben oder eins zu acht. D.h. sieben oder acht Container gehen durch und einer bleibt hängen! Manchmal haben wir so ein „Hängenbleiben“ sogar organisiert, um dem einen oder anderen Zöllner auch mal ein Erfolgserlebnis zu zuschanzen. Aber das war ja in der Kalkulation mit drin.

Heute würde ich sagen, das Risiko ist geringer als 5 Prozent, also eins zu zwanzig! Und in speziellen Regionen sogar noch viel kleiner!

thinkstep.:

Wenn Sie einen Ausblick in die Zukunft wagen, wie glauben Sie wird sich Ihr Business entwickeln?

M.:

Ich bin kein Prophet und wer kann schon in die Zukunft sehen. Aber unter den derzeitigen Umständen, mit Griechenland, Spanien und der Euroschwäche gehe ich mal von einem steigenden Geschäft aus. Vielleicht werden die Margen etwas geringer aber das Gesamtgeschäft wird steigen. Geraucht wird immer, das ist wie mit dem Brot oder der Prostitution. In einigen Ländern der EU sind schon neue Steuererhöhungen für Tabak angekündigt. Meinen Sie, die werden die Leute zum Kauf von legalen Zigaretten ermutigen?

Um meine Zukunft mache ich mir keine Sorgen. (M. lacht)

thinkstep.:

Was glauben Sie könnte Ihnen dieses Geschäft verhageln?

M.:

Eigentlich nichts!

Aber natürlich, wenn die Steuersätze auf der ganzen Welt identisch KLEIN wären und es nicht so viele potentielle Kunden gäbe, ja dann....? Aber ich glaube, damit ist in den nächsten 100 Jahren wohl kaum zu rechnen.

thinkstep.:

Wir bedanken uns für das Interview.

 

 

 

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