07.09.2011 von Julius

Schlechter Rauch auf der Reeperbahn

Wer die Reeperbahn nicht besucht hat, der war auch nicht in Hamburg.

   Wir waren dort! Nicht wegen des Amüsements. Nein, wir haben den Kiez besucht weil Gerüchte kursieren, dass, ähnlich wie im Ruhrpott, in Berlin oder im Frankfurter Bahnhofsviertel, immer mehr illegale Zigaretten dort geraucht werden.

Wir haben an vielen Orten versucht, „billige“ Zigaretten zu kaufen. Was aber erstaunlich war ist die Tatsache, dass nicht die Reeperbahn allein ein Schwerpunkt des Handels mit geschmuggelten oder gefälschten Zigaretten ist.

In einer Kneipe, nennen wir sie mal „Rot-Gelb-Grün“, nicht weit entfernt von der Bramfelder Strasse konnten wir nach kurzem Nachfragen zwar nicht unsere Lieblingsmarke, aber doch immerhin eine bekannte Zigarettensorte für nur 2,50 Euro je Schachtel erwerben. Der Markenaufdruck war in Englischer Sprache und irgendwo stand auch „Made in the EU“. Diese Sorte kannten wir schon gut. Fälschungen einer Markenzigarette hergestellt in einer Polnischen illegalen Fabrik.

Auch wenn die Hamburger schon etwas wortkarg sind, nach einigen Bieren kamen wir ins Gespräch – mit Konsumenten und dem Verkäufer.

„Schau Dich doch um! Fünf von 10 sind hier Hartz-IV-Empfänger! Wo sollen die denn 60 Euro für ’ne Stange Zigaretten hernehmen?“ So die Aussage des Kneipenwirtes. Wie viele Schachteln er denn so verkaufe wollten wir wissen. Aber er lächelt nur. Die Kneipe ist ziemlich voll. Fußball läuft im TV. Der HSV spielt. Wenn in dieser Kneipe pro Tag nur zwei Stangen verkauft werden (und es ist mehr, viel mehr), dann sind dies ca. 700 Stangen im Jahr. Oder 3.500 bis 7.000 Euro Reingewinn. Oder mehr als 21.000 Euro Steuerverlust nur in einer Kneipe.

Und Bramfeld ist nicht das einzige Viertel in Hamburg mit einem hohen Anteil an Empfängern von staatlicher Sozialhilfe.

St. Pauli, die Sternschanze, Dulsberg, Billstedt und viele andere Quartiere in Hamburg, so hatte uns die Hamburger Sozialbehörde unter Senator Dieter Wersich (CDU) mitgeteilt, sind „Brennpunkte“ in der Hafenstadt. Und so ist es wenig verwunderlich, dass auch genau hier die Händler der illegalen Ware ihre Kunden treffen. Der Markt bestimmt die Regeln.

Ein Gast in der Kneipe sagt uns warum er die billigen Varianten seiner Marke kauft.

„Na klar weiß ich, dass die geschmuggelt sind. Aber nach dreißig Jahren Arbeit im Hafen hab ich jetzt nur noch Hartz-IV und mit Mitte Fünfzig bekomme ich doch keinen Job mehr! Eigentlich sollte ich aufhören mit dem Rauchen, doch nach so vielen Jahren als Raucher fällt das schon sehr schwer.“

Als wir ihn darüber aufklären, dass genau die billige Zigarette, die er gerade raucht in einer illegalen Fabrik gefertigt wurde und dass keiner in dieser „Fabrik“ auf Hygiene achtet oder fragt woher der Tabak kommt wird er nachdenklich. Auch der Fakt, dass viele Arbeiter in solchen oder anderen illegalen Produktionsstätten oft wie Sklaven eingeschlossen sind, wochenlang nicht nach Hause fahren können und mit einem Hungerlohn abgespeist werden ist ihm, dem Konsumenten, nicht bewusst.

 

„Vielleicht sollte ich doch aufhören!“ Aber sein Entschluss klingt eher zweifelnd als endgültig.

 

Dann sind wir zurück auf der Reeperbahn.

Nach langen Recherchen und vermittelt über einen Insider bekommen wir Kontakt mit einem der Hauptlieferanten für günstige Zigaretten im Kiez. Und er ist bereit mit uns zu sprechen.

 

„Fast drei Mastercases (1 Mastercase = 50 Stangen à 10 Schachteln – d.R.) von denen dort“ , dabei zeigt er auf eine Schachtel Marlboro, „verkaufe ich jeden Tag hier!“ und auf unsere Nachfrage hin: „Ne, nicht an den Endkunden, an meine Verkäufer!“ Er ist also ein Zwischenhändler, der auf eigene Rechnung größere Mengen der illegalen Zigaretten kauft, um diese dann über „seine“ Endverkäufer an die Kunden zu bringen.

Mit etwas einfacher Mathematik wird schnell klar, wie dieser einzelne Geschäftsmann an der Steuer vorbei hohe Gewinne erzielt. Von unseren vorherigen Recherchen wussten wir, dass ein Mastercase für einen gut etablierten Großhändler eine Investition von ungefähr 500 Euro darstellt. Wenn er die Stange, also 10 Schachteln Zigaretten, für 15 -19 Euro weiterverkauft, dann generieren drei Mastercases einen Gewinn zwischen 750 und 1.350 Euro. Und so können am Monatsende schon 20 bis 30 Tausend Euro übrigbleiben.

Wer ihn denn mit den Zigaretten beliefere, wollen wir wissen und ob es noch mehr Leute wie ihn hier in Hamburg gibt?

Ein schallendes Gelächter entgegnet uns auf unsere zweite Frage und eine unzweideutige Antwort:

„Na klar! Und glaubt mir, ich bin weiß Gott nicht der größte hier im Haifischbecken!“.

Aber unsere erste Frage will er nicht beantworten. Das Risiko wäre zu groß und er könne ja auch nicht die Hand beißen, die ihn füttere. Denn das Geschäft wächst und gedeiht und deshalb müsse er auch an die Zukunft denken. Und er lächelt wieder dabei.

So kommen sie denn auch hier in Hamburg zusammen: Der Markt mit den vielen Kunden die sich nur diese Zigaretten leisten können oder wollen und die kleinen und großen „Geschäftsleute“, die alles aus diesem Markt herausholen.

jj.

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