04.07.2011 von Jörg Julius

Wer braucht schon Viagra oder Cialis?

Nebenanzeigen: - kann zum Tode führen

Von jj

Seit beim US-Pharmaunternehmen Pfizer 1998 mehr zufällig die Wirkung der Substanz Sildenafil zur Behebung von Erektionsstörungen beim Mann entdeckt wurde konnte der Konzern mit seinem Markenprodukt „Viagra“ bis zum heutigen Tage ca. 17 Milliarden US-Dollar Umsatz erzielen. Nach Schätzungen wurden mehr als 1,35 Milliarden Tabletten „an den Mann“ gebracht. Pfizer hält damit mehr als 45 Prozent des Weltmarktes für Substanzen gegen erektile Dysfunktion. Aber auch andere Pharma- Unternehmen schlafen nicht. Die Firmen BAYER (Deutschland) und ELI LILLY (USA) brachten unter dem Markennamen Levitra (Bayer) und Cialis (Eli Lilly) 2003 ihre eigenen Produkte auf den Markt und weitere Unternehmen folgen in den Jahren darauf mit eigenen oder generischen Medikamenten.

Cialis oder Viagra im Internet- Achtsamkeit ist angeraten

Jetzt sollte man jedoch wissen, dass der Preis für den Grundstoff Sildenafil-Zitrat auf dem Weltmarkt sehr schwankt. In den USA bezahlen die verarbeitenden Unternehmen auf dem Großhandelsmarkt ca. 633 USD pro Kilogramm dieses Stoffes, in Indien könnten Großkunden aber bereits ab knapp über 50 USD ein Kilogramm des begehrten Wirkstoffes erhalten. Welcher Preis auch immer gezahlt wird, der Kostenanteil des Wirkstoffes im Medikament selber ist verschwindend gering. Für Viagra beträgt er gerade einmal 0,25 Prozent des derzeitigen Verkaufspreises von ca. 22 USD. Ähnlich sieht es auch bei den Markenprodukten der anderen bekannten Anbieter aus.

 

Wen wundert es, dass soviel viele „Nachahmer“ auf der Bühne des internationalen Marktes auftauchen. Wer seinen Spam-Ordner nicht richtig konfiguriert hat ärgert sich auch über die Unmengen an unerwünschten Angeboten für Potenzmittel die Tag für Tag die Eingangsordner des Mailservers füllen.

 

Thinkstep ist einigen dieser, oft sehr erotisch beworbenen, Angeboten nachgegangen. Unser Ziel war es herauszufinden, ob die Angebote wirklich mit echten Medikamenten verbunden sind, die nicht nur die versprochenen Wirkstoffe in der richtigen Maßhaltigkeit beinhalten, sondern auch die zu Recht schwierigen Richtlinien der deutschen und europäischen Gesetzgebung für Medikamente erfüllen.

Im Zuge unserer Recherchen haben wir also versucht, innerhalb der Europäischen Union Anbieter für verschreibungspflichtige Medikamente (wie u.a. Viagra und auch Cialis) zu kontaktieren.

Zwei, auf dem ersten Blick, Niederländische Unternehmen sind dabei besonders in unseren Fokus gerückt. Die Online-Apotheken Oranje-Apo und Vincent-Van-Gogh-Apotheke.

Ohne Probleme konnten wir auf den Online-Plattformen dieser Apotheken rezeptpflichtige Medikamente, ohne das wir je ein Rezept vorweisen mussten, bestellen.

Der Preis für die bestellten Cialis – Tabletten betrug gerade einmal 60% des Europäischen Durchschnittspreises und musste per Vorkasse beglichen werden. Natürlich bereitete dies Kopfschmerzen, denn wir mussten auch davon ausgehen, dass niemals irgendeine Ware in unserer Redaktion ankommen werde. Aber bereits nach wenigen Tagen trafen dann Päckchen ohne Absender per Postzusteller ein. Und der Inhalt der Päckchen versprach zumindest vom Äußeren her eine Identität mit den bestellten Medikamenten.

Sowohl die Verpackung (Blister) als auch, und vor allen Dingen, die Tabletten wurden durch ein zugelassenes pharmazeutisches Labor untersucht. Es war schon fast ein Großauftrag für die Irischen Pharmakologen und Biochemiker, denn mittlerweile hatten wir weitere Produkte von anderen Online-Apotheken nicht nur aus Europa erhalten.

 

Die Warenlieferungen der beiden holländischen Online-Apotheken waren laut Poststempel im Briefzentrum 50 der Deutschen Post logistisch bearbeitet worden. Die Sendungen kamen also nicht aus Holland, sondern aus Deutschland! Es bestätigte somit unser Verdacht, dass zumindest deutsche Staatsbürger an den kriminellen Machenschaften beteiligt sind, denn auch die Zahlungen wurden über ein Konto bei der Deutschen Bank abgewickelt.

 

Die gekauften Cialis der niederländischen Online-Anbieter stellten sich eindeutig als Fälschungen heraus.

Vergleichende Untersuchungen der Verpackung und auch der Blister sowie die Überprüfung der vorgeschriebenen LOT-Nummer förderten dies zu Tage und blieben auch nicht die einzigen Indizien, dass hier kriminelle Händler schwere Schädigungen der Gesundheit der Käufer billigend in Kauf nehmen.

 

Gemeinsam mit weiteren georderten Proben auch anderer Online-Apotheken ließen wir die Cialis-Tabletten in einem Irischen Pharma-Labor auf Bestandteile, vor allem auf die Menge des Wirkstoffes untersuchen.

 

Die Ergebnisse waren mehr als nur überraschend.

In allen Proben konnten die Wirkstoffe nachgewiesen werden. Jedoch fanden die Spezialisten oft völlig andere Mengen des Wirkstoffes, als die Angaben auf den Verpackungen vermuten ließen.

In einer Tablette, die als „Cialis – Original 20mg“ proklamiert war, stellte das Labor eine 18-fach überhöhte Dosis der Wirksubstanz Tadalafil fest. Bei Personen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen kann die Einnahme eines Medikamentes mit einem derartig überhöhten Wirkanteil zu schwersten gesundheitlichen Schädigungen, ja bis zum Tode führen.

Andere Testergebnisse zeigten hinsichtlich der Wirkstoffe genau das Gegenteil! Hier hatten wir es mit Medikamenten zu tun, die KEINERLEI der angegebenen Wirksubstanzen beinhalteten. Es waren reine Placebos.

 

Die Unverantwortlichkeit und hohe kriminelle Energie der Protagonisten, welche, angetrieben aus Gewinnsucht und Habgier, derartige Produkte verkaufen, ist als sehr extrem und inhuman einzustufen. Hier wird Russisch Roulette mit dem Leben von Menschen gespielt!

 

Es ist mehr als notwendig, dass deutsche und Europäische Ermittlungsbehörden intensiver und mit Nachdruck gegen derartige Fälle von Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz vorgehen, vor allem aber im Cyberbereich, der anscheinend ein rechtsfreier Raum zu sein scheint.

 

Allein die Hinweise aus unseren Testkäufen bringen zum Vorschein, dass die kriminellen Delinquenten sich nicht einmal besondere Mühe geben, ihre Taten zu verschleiern. Es sollte also schon möglich sein, hier zumindest eine Eingrenzung realisieren zu können.

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